«Wenn die Corona-Krise erst vorbei ist, werden wir bessere Menschen geworden sein. Innerlich gereift, geläutert gar, achtsam, der Erde verbunden und voller Liebe für unsere nahen und fernen Mitgeschöpfe.» So oder ähnlich tönt es zurzeit aus vielen Kanälen, Facebook, WhatsApp, E-Mail-Anhänge mit zuckersüssen Botschaften.

Glauben Sie das? Ich nicht.

Wir Menschen haben grosse Schwierigkeiten, uns zu verändern, vor allem zum Besseren. Ich auch. Daher gehe ich davon aus, dass es nach dieser Krise ziemlich genauso weitergeht wie vorher, zumindest in Bezug auf die Fähigkeit des Menschen, Gutes zu tun und Rücksicht zu nehmen.

Im Moment haben wir es in gewisser Weise einfach mit dem Gutsein. Es ist fast alles verboten. Und es hilft, dass wir einen gemeinsamen Feind haben, das Virus. Oder heisst es der Virus? Wenn uns diese grammatikalische Frage beschäftigt, geht es uns offenbar noch nicht so schlecht.

Wir müssen nichts tun, als möglichst viel daheimzubleiben und ab und an auf dem Balkon zu erscheinen, um entweder zu klatschen, zu singen oder ein Instrument zu spielen. Selbstverständlich zu verabredeten Uhrzeiten, wegen des guten Gefühls. Das mit Greta im letzten Jahr, Sie erinnern sich, das war unangenehm, Fridays for Future brachte uns irgendwie in Erklärungsnot, hingegen für Personal im medizinischen und pflegerischen Bereich auf dem Balkon zu klatschen ist toll, herrlich unkonkret, man fühlt sich gut und es kostet nichts. Und in Venedig schwimmen wieder Delphine, jöö.

Aber doch nicht, weil wir alle bessere Menschen geworden wären. Sie nicht und ich nicht. Wir sind doch diejenigen, die zu viele Ressourcen verbrauchen. Wir sind die auf den Kreuzfahrtschiffen und in den Ferienfliegern. Ich nehme mich nicht aus. Und weil ich mich und meine Schwächen kenne, bin ich allergisch gegen diesen Zuckerguss, der momentan allüberall auf unser Miteinander gegossen wird. Der Mensch wird von dem, was gerade passiert, nicht besser werden, aber auch nicht schlechter. So ist der Mensch. Nicht ganz gut und nicht ganz böse. Mensch eben. Aus Erde erschaffen, nicht aus Zuckerguss.

Es fängt doch schon an. Bereits werde ich aufgefordert, zukünftig in der Schweiz Ferien zu machen. Um die Umwelt zu schonen? Weit gefehlt. Damit der Aufschwung der Schweiz gesichert ist. Hat denn der Hotelbesitzer in Italien oder der Bootsverleiher in Spanien den Aufschwung nicht genauso nötig? Ja, aber leider egal? Ach so. Ich bin nicht überrascht, ich möchte einfach von diesem pathetischen Weltumarmungsgetöse verschont bleiben.

Ich werde auf den Balkon gehen und klatschen, wenn Pflegepersonal bessere Arbeitsbedingungen bekommt, ich werde auf den Balkon gehen und klatschen, wenn nicht jede Entscheidung in unserem Land wirtschaftlichen Interessen unterworfen wird, ich werde auf den Balkon gehen und klatschen, wenn wir wirklich solidarisch geworden sind und zwar mit der ganzen Schöpfung, überall auf der Welt, achtsam, der Erde verbunden und voller Liebe für unsere nahen und fernen Mitgeschöpfe.

Passen Sie gut auf sich auf und bleiben Sie auf dem Teppich!

Pfarrerin Helke Döls, Malans

 

Gebet für eine Pandemie

Mögen wir, die wir bloss Unannehmlichkeiten haben,
an diejenigen denken, deren Leben auf dem Spiel steht.

Mögen wir, die keine Risikofaktoren haben,
an die Schwächsten denken.

Mögen wir, die wir den Luxus haben, von zu Hause aus zu arbeiten,
an diejenigen denken, die sich entscheiden müssen,
ob sie ihre Gesundheit erhalten oder ihre Miete bezahlen wollen.

Mögen wir, die wir die Flexibilität haben, uns um unsere Kinder zu kümmern,
wenn ihre Schulen schliessen,
an diejenigen denken, die keine Möglichkeiten haben.

Mögen wir, die unsere Reisen absagen müssen,
an diejenigen denken, die keinen sicheren Ort haben, an den sie gehen können.

Mögen wir, die wir im Tumult des Wirtschaftsmarktes weniger Gewinn machen,
an diejenigen denken, die überhaupt keinen finanziellen Spielraum haben.

Mögen wir, die wir uns zu Hause mit einer Quarantäne einrichten,
an diejenigen denken, die keine Heimat haben.

Eine Angst erfasst unser Land,
lasst uns die Liebe wählen.
In dieser Zeit, in der wir uns nicht physisch umarmen können,
lasst uns dennoch Wege finden,
unsere Nächsten die liebevolle Umarmung Gottes spüren zu lassen.

(Gebet von Cameron Bellm, ins Deutsche übersetzt von Helke Döls)


(27. März 2020)